Ein Jahr
in Spanien
Vielleicht hätte ich heute mit meinem Mann unser "Einjähriges" gefeiert, dafür ein ganz besonderes Restaurant ausgewählt! Und wahrscheinlich, nein ganz sicher, hätten wir keine Kosten gescheut, zweifellos unsere Erinnerungen ausgetauscht bei einem kulinarischen Essen und einer Flasche Wein! Nicht unser Hochzeitstag oder ein anderes nennenswertes Jubiläum! Ein großer Schritt, den wir am 04.11.2019 wagten, jährt sich zum ersten Mal! An diesem Tag wechselten wir von Costa Rica nach Spanien - in ein Dasein mit ungewissem Ausgang! Schwermütig tippe ich meine Empfindungen rückblickend in den Laptop!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Wie haben wir uns gefreut, von nun an näher bei unserer Familie und Freunden zu sein! Keinen 14stündigen, anstrengenden und teuren Flug mehr! In nur drei Stunden könnten wir problemlos hin- und herfliegen, von Deutschland nach Spanien, ein Katzensprung! Mit ein bisschen Glück zum Schnäppchenpreis! In Europäischen Gefilden wollten wir neue Freundschaften schließen, gemeinsame Vorlieben austauschen, konstruktive Gespräche führen! Der erste Kontakt endete in einer noch nie in meinem Leben verspürten Enttäuschung, die nicht endend schmerzt! Willkommen daheim unter Deutschen! Und das in Spanien!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Ja, wir wohnten 12 Jahre im Paradies, in den Tropen zwischen Panama und Nicaragua! Costa Rica, das kleine Land zwischen zwei Ozeanen wurde uns in dieser Zeit zur zweiten Heimat! Niemals möchte ich die Erlebnisse und Erfahrungen missen, sie werden immer ein Bestandteil meines Lebens sein! Vor allem die freundlichen und lächelnden Menschen, die uns als ihre 'Amigos' bezeichneten, von der ersten Begegnung an! Ihrer Hilfsbereitschaft stand nie etwas im Wege, man fühlte sich nicht alleine! Nun plagt mich ein Heimweh nach dieser, in vielerlei Hinsicht paradiesischen Idylle!
Costa Rica Pazifico Foto: Inga Treu Fotografìa
Seit meiner Ankunft in Spanien, befällt mich das Gegenteil: Eine Zeit der Entzweiung, der Distanzierung, der Traurigkeit, der sozialen Isolation! Denn etwa zur gleichen Zeit unseres Eintreffens hat sich ein Wesen dazu gesellt, als unwillkommener Gast - das Monster mit dem Namen Corona! Diese Erscheinung hat die Welt verändert, noch bevor wir uns hier einleben konnten! Ich werde nie die Ohnmacht des Erfrierens vergessen, in dem spanischen Haus ohne Heizung! Abends legte ich mich mit voller Montur ins Bett, nur so konnte ich die Kälte ertragen! Wurde krank, mich quälte wochenlang ein fürchterlicher Husten mit schier unerträglichen Halsschmerzen! Möglicherweise hatte mich das Virus damals schon am Wickel, gepackt in einer Immunschwäche! Wie konnten wir auch in der rauen Jahreszeit eine derartige Strapaze auf uns nehmen! Diese, mir am Anfang widerfahrene buchstäbliche Kälte begleitet mich noch immer in einer veränderten, weitaus schlimmeren Form!
Parque Nacional Cádiz Foto: Inga Treu Fotografìa
Die bald folgende Ausgangssperre projizierte ein Bild der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 in meinen Sinn! Damals wurde uns auch geraten, das Haus zu hüten und uns so wenig wie möglich draußen aufzuhalten! Es resultierten Berichte von hunderten Toten, man hat an nichts anderes mehr denken können! Es dauerte, die Wahrnehmung des auf uns zukommenden Ausmaßes ergab sich nicht sofort! Ich hörte auf zu lesen! Als beständiger Kunde bei Amazon, verschlang ich jede Woche ein Buch in Kindle Version, der Versand eines physischen Buches nach Costa Rica zu kostspielig! Plötzlich existierte diese von mir so geliebte Gewohnheit nicht mehr! War kaum in der Lage, mich zu konzentrieren, was auch das Schreiben betraf!
Foto: alfahosting
Es wurde uns nur noch genehmigt, zum Einkaufen in den nächstgelegenen Supermarkt, zur Apotheke oder zum Arzt das Haus zu verlassen! Eine Person, nicht zu zweit! Ich durfte auch nicht mit meinem Mann im Auto sitzen! Das war verboten! Außer er hätte nachweisen können, dass er mich nicht alleine zuhause lassen kann! Dann wäre mein Platz schräg hinter ihm im Auto gewesen, mit Maske, versteht sich von selbst! Ein Spritzer Ironie sei mir gebilligt! Da weder Alzheimer noch Demenz als brauchbares Indiz herhalten konnten, fiel diese Möglichkeit aus!
Vegetación en España Foto: Inga Treu Fotografìa
Mit Befugnis vermochten wir mit den Hunden - das heißt nur einer von uns - während dieser harten Zeit fünf Minuten zum Gassi gehen um das Haus! Für 50 Kilo schwere Brocken ungenügend! Wir selbst mussten uns ja auch irgendwie bewegen, spazieren gehen am Strand oder im Wald oder sonst irgendwo wurde untersagt! Was fällt einem da ein? Rein in die Sportschuhe! Vom hinteren Gartenquadrat zum vorderen und wieder zurück, ungefähr zehnmal! Unsere Vierbeiner beobachteten uns dabei irritiert, klammerten sich immer enger an uns, haben bis heute Verlustängste, wollen nicht alleine sein!
León y Lara Foto: Inga Treu Fotografìa
Der erbarmungslose Lockdown zog sich von Mitte März bis in die Maihälfte! Wünsche und Bedürfnisse begrenzten sich auf Lebensmittel, alle Geschäfte und Restaurants hatten geschlossen! Diese Zeit erfassten wir als eine Ewigkeit! Ich habe geweint bei der Bekanntgabe, dass wir uns nach der langen Quarantäne wieder in der Provinz bewegen dürfen, fühlte mich wie aus dem Gefängnis entlassen!
Montañas en Andalucía Foto: Inga Treu Fotografìa
Eine Emotion entlud meinen Bauchraum, der sich wie ein Kloß anfühlte, zu einem Gewächs mutierte und mich sorgenvoll beschäftigte! Die geschenkte Freiheit wurde spontan genutzt, niemand konnte uns mehr im Haus festhalten! Man muss wissen, dass keine Gespräche mit den Nachbarn zustande kamen, die Menschen bewältigten ihr Leben in Angst und Bange! Täglich steigende Zahlen der Toten, die bis in die tausend explodierten, lähmten, raubten die benötigten Kräfte für den Alltag! Außerdem trennen uns Mauern auf den Grundstücken, was die Einsamkeit und Abgeschiedenheit voneinander verschlimmert! Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich daran nichts verändert! Die Spanier sind gehorsame Befolger der Regeln!
Atardecer detras de nuestro jardín Foto: Inga Treu Fotografìa
Nun ist es erneut soweit: Maskenpflicht überall in Spanien! Auf der Straße, in den Geschäften, im Wald, am Strand! Kein Lächeln erreicht mich! Das vermag weder ein Design aus Blümchenstoff, Streifen, Pünktchen, noch glitzernde Strasssteinchen auf Tiefschwarz zu kompensieren, wenn sich darunter ein Mund mit harter Mine versteckt! Für mich bedenklich, dass innerhalb kurzer Zeit die Maske als modisches Accessoire akzeptiert wurde! Von den Chinesen als Markt erhascht, in einer Auswahl ohnegleichen! Da kann man sich eindecken, passend zu jedem Outfit!
Vegetación en las dunas Foto: Inga Treu Fotografìa
Erschreckend die Feststellung, dass sich nicht einmal Augenpaare treffen wollen. Das Bedürfnis, einander anzusehen besteht nicht mehr! Blicke mit einem sympathischen Lächeln zeugen von Menschlichkeit! Wo ist sie geblieben? Im Supermarkt weicht jeder dem anderen aus und signalisiert damit: Tretet mir nicht zu nahe und fragt mich nichts! Man kommt sich schon vor, als würde die Pest an einem haften! Kann ein freundlicher Aufblick töten? Ist ja so gewünscht: Abstand und mundtot! Ein Mundtoter redet nicht mehr, obwohl er es könnte! Denn er ist nicht tot, sondern lebendig! Ich verspüre kein Leben wenn ich mich unter Menschen aufhalte! Das trifft auch auf die Innenstädte zu! Wo ist das 'Miteinander' geblieben? Wie soll man da Kontakte knüpfen? Unmöglich! Die Spanier sind doch ein geselliges Volk, spreche ihre Sprache und habe sie lieben gelernt! Ein Leben ohne sie kann ich mir nur schwer vorstellen! Ich realisiere mich in einem schlechten Film! Den Finger auf der Austaste, noch nicht betätigend in der Hoffnung, dass die Handlung sich zum Guten wendet!
Foto: alfahosting
Habe mich vernachlässigt in den letzten Monaten, wo ich doch nie und nimmer ohne Schminke das Haus verlasse, auf mein Äußeres bedacht bin! Doch für wen den ganzen Aufwand? Sieht eh keiner! Unten den Stoff, oben die Sonnenbrille! Schlecht für die angeknackste Psyche! Das geht gar nicht! Bin ein disziplinierter und kritischer Mensch, vor allem, wenn es meine eigene Person betrifft! Da will ich wieder hin! Der gut gemeinte Rat von Spezialisten, die Haare während des Hausarrestes 'ausfetten' zu lassen, leuchtete mir ein und zeitigt sehenswerte Ergebnisse! Zu viel gegessen, Lidl und Aldi mit europäischen Produkten, die wir in Costa Rica richtig teuer bezahlen mussten! Nun war alles da: Ein Schlaraffenland und viel Zeit, die wir im Haus und Garten aussitzen mussten! Ein paar Kilo Gewichtszunahme lassen sich auch wieder eliminieren, was ich inzwischen erfolgreich geschafft habe!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Die Restriktionen verändern nicht nur einzelne Menschen, sondern eine ganze Gesellschaft! Das sind nicht mehr die kontaktfreudigen Spanier! Keine Küsschen auf die Wange zur Begrüßung, was für die Spanische Mentalität schlimmer ist als in anderen Ländern, in denen die Menschen schon immer distanzierter miteinander umgegangen sind! Auch in Costa Rica hat man sich mit Küsschen begrüßt und verabschiedet, eine Geste, die äußerlich und innerlich berührt, ein Glücksgefühl und Wärme hinterlässt! Daran habe ich mich gewöhnt und ich vermisse diese herzliche Zuwendung unsagbar traurig!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Langzeitfolgen dieser Entfremdung sind beileibe nicht absehbar! Eine Studie verzeichnet einen Anstieg von Angst- und Panikattacken um 170 Prozent gegenüber dem Vorjahr bei jüngeren Menschen in Spanien! Die Furcht der Spanier vor dem Virus tritt in den Hintergrund! Sie bangen um ihren Arbeitsplatz! Unaufhaltsame Pleitewellen nähern sich dem Ufer und überspülen ihre finanzielle Existenz! Touristen bleiben aus!
Playa El Palmar Foto: Inga Treu Fotografìa
Nicht vielleicht und nicht wahrscheinlich! NEIN! Ganz bestimmt werden wir heute feiern! Das Restaurant gewählt, Andalusisches Essen, eine Flasche Wein!
Foto: alfahosting
Und wir werden davon reden, wie wir das erste Jahr in Spanien erlebt und überstanden haben, ganz alleine mit unseren beiden Hunden! Wir werden dankbar sein, dass wir unsere kleine 'Vierergemeinschaft' haben und gesund sind! An die schönen Dinge denken, die wir hier sammeln und festhalten durften, trotz vieler Einschränkungen! Das sind die Smalltalks mit netten Spaniern, ob im Restaurant, am Strand, im Pinienwald! Ja, es gab sie tatsächlich! Nicht massig, eher gezielt! Liebenswerte Menschen, meistens mit ihren Hunden, die wir immer wieder getroffen haben und auch mal längere Gespräche sich ergaben! Lächelnde Ausnahmen! Lieb gemeinte Empfehlungen und Tipps wurden ausgetauscht!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Wir werden uns sicher an die beeindruckenden Fahrten durch das Land erinnern! Die Schönheiten der Natur vor Augen, das Meer in seinen faszinierenden Blau- und Türkistönen, darüber der tiefblaue Himmel mit schneeweißen gigantischen Wolkenformationen! Erhabene Gebirgsketten lockten uns immer wieder aus der Ferne und wir fuhren hunderte von Kilometern um sie zu bestaunen! Spanien, Du bist ein wunderschönes Land! Ich wünsche mir, noch so viel mehr von Dir zu sehen und zu schmecken!
Ciudad Ronda Málaga Foto: Inga Treu Fotografìa
Unzählige Fotos befinden sich in meinen Händen! Von mir erträumte Motive, ich habe sie gefunden! Trotz den uns auferlegten Vorbehalten nutzten wir die Zeit und machten das Beste daraus!
Por el camino a buscar motivos de ruinas Foto: Inga Treu Fotografìa
Nicht zuletzt und insbesondere danke ich meinen lieben Internetkontakten aus vielen Ländern, die ich (noch) nie gesehen habe, doch die Gleichheit der Interessen stimmt! Durch ihre Empathie erreichen mich immer wieder Fragen, die mir ihre Teilnahme an unserer Situation zeigen! Bedanken möchte ich mich auch bei unserer Familie und Freunden, mit denen wir ständig telefonisch verbunden sind, da wir uns nicht gegenseitig besuchen können!
Setenil de las Bodegas Foto: Inga Treu Fotografìa
Ohne Euch alle wäre mein Leben einsamer! Vielleicht darf ich hoffnungsvoll ins nächste Jahr blicken und Menschen finden, mit denen ich erbauende Gespräche führen kann! Personen mit positiver Ausstrahlung, keine Schwarzmaler! Es gibt sie, es ist die Situation, die das Ersehnte nicht zulässt!
"Gute Gespräche sind Grundnahrungsmittel für unsere Seele!" (Helmut Glaßl)
Das Internet ermöglicht uns, schweigend Gespräche miteinander zu führen! Diese Art der Kommunikation wird immer mehr genutzt! Sie kann weder die Stimme, Augenkontakt noch Mimik ersetzen! Eine Ernährung ohne ausreichenden Wert! Die Kontaktbarriere macht uns alle krank!
Geschrieben im November 2020
Foto: Inga Treu Fotografìa