Levante
Freund
oder
Feind?
Lieben, hassen, erdulden? Wovon ist hier die Rede? Ein Wind, für den die Einheimischen nur Schimpfwörter finden! "El levante del diablo", verflucht und gefürchtet, der Teufelswind aus dem Osten!
Tarifa Foto: Inga Treu Fotografìa
Tarifa ist die windigste Ecke Europas! Ganz in der Nähe lebe ich seit einem Jahr! Zwischen Tarifa und Cádiz, Südspanien, im bezaubernden Andalusien!
Cádiz Foto: Inga Treu Fotografìa
Der Levante entsteigt seinem Kinderbett auf den Balearen, von dort aus gewinnt er an Stärke! Hunderte von Windrädern auf den Bergen Tarifas nach Osten ausgerichtet, beginnen langsam, sich zu drehen! Sie künden das Unheil an! Der Levante ist ein launischer Geselle, Stärke und Dauer unterschiedlich, heimtückisch! Er kann zu jeder Jahreszeit auftreten! Im Frühjahr und Herbst erreicht er oft Sturmstärke, Sommermonate in gemäßigter Brise! Besonders im Frühjahr vermag er Böen von mehr als 80 km/h zu pusten!
Tarifa, Abfahrt nach Tanger/Marokko Foto: Inga Treu Fotografìa
Die Küste Nordafrikas stiehlt sich davon, Dunstschwaden türmen eine Mauer vor Marokko auf, die Meerenge von Gibraltar lässt den Wind stark anschwellen! Der Levante treibt sein Unwesen, fegt alles weg, was nicht niet- und nagelfest ist! Sein Pfeifen tyrannisiert die Menschen, hartnäckig, aufdringlich, unermüdlich! Von den Bewohnern der Costa de la Luz gefürchtet als trockener Föhnwind, der sie zu elenden Kopfschmerzen verdonnern kann!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Vom Winde verweht! Als würde das nicht genügen! Nein! Gepeitscht, geschmirgelt, sandgestrahlt, gejagt, flüchte ich vom Strand in Valdevaqueros, Nicht einmal die Sonne in ihrer vollen Kraft schafft es, mich dort zu halten! Suche Schutz im nahe geparkten Auto! Unverdrossen in seiner kompromisslosen Sturheit, seine Macht und Größe demonstrierend, verharrt der Levante auf seinem Schauplatz! Keine Gegenreaktion unserer Hunde, die Fellhaare am Körper stehen wie Stacheln, auf dem Kopf eine Punkfrisur mit zugekniffenen Augen! Sieht witzig aus! Das möchte ich fotografisch festhalten! Doch ich öffne die Linse nicht - das will was heißen, denn kein Motiv ist vor mir sicher! Aus Angst, dass der harte Sandstrahl sie mit Kratzern beschädigen könnte, verzichte ich auf den nicht alltäglichen Schnappschuss!
Valdevaqueros bei heftigem Levante Foto: Inga Treu Fotografìa
Man sagt: 'Des einen Leid, des anderen Freud'! Die einen fühlen sich vom Wind verflucht, die anderen von ihm gesegnet! Wenn die Fischer aus Respekt vor dem Sturm lieber im Hafen auf dessen Mäßigung und Gnade warten, treibt es andere auf das vom Levante gegeißelte Meer!
Playa Valdevaqueros Foto: Inga Treu Fotografìa
Vom Treibstoff für ihre Segel magisch aufs Wasser gezogen, Wind- und Kitesurfer! Unter dem tiefblauen Himmel flattern die aufsteigenden Schirme wie bunte Fahnen! Muskulöse, breitschultrige Männer und junge hübsche Frauen mit durchtrainiertem Traumbody! Sie flitzen mit ihren Brettern durch die Fluten, beeindrucken mit akrobatischen Sprüngen, reiten anmutig die Wellen ab! Da kommt schon ein bisschen Neid auf und eine nicht rückgängig zu machende Anklage an mich selbst! Sport gehörte nie zu meiner Disziplin! Mit einem Seufzer versuche ich meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken!
Playa Valdevaqueros Foto: Inga Treu Fotografìa
An den wenigen Tagen, an denen sich der Levante Ruhe gönnt um sich auf sein nächstes Toben vorzubereiten, sehen die windvernarrten Wassersportler mit unbändiger Erwartung seinem erneuten Erscheinen entgegen! Tarifa ist die Windsurferhauptstadt Europas mit exzellenten Surfshops und vor allem ungezügelter Luftbewegung!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Während mir der Wind die Haare ins Gesicht weht denke ich zum hundertsten Mal über mein Schwanken zwischen Feind und Nichtfreund, den Levante nach und komme schon wieder ins Grübeln!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Was wäre das Leben ohne Freunde? Freundschaften helfen uns über Durststrecken hinweg. In Lebenskrisen. Freunde inspirieren, unterstützen uns oder sie machen einfach nur glücklich. Manche Freundschaft hält ein Leben lang. Andere lösen sich schon nach kurzer Zeit wieder auf!
Doch wie entstehen Freundschaften überhaupt? Und wann nennen wir einen Bekannten „Freund“? Jetzt wird es ein bisschen philosophisch!
Diese Fragen haben sich Wissenschaftler, Psychologen und Soziologen gestellt. Der Nobelpreisträger und amerikanische Genetiker Jeffrey A. Hall fand er heraus:
Es braucht mindestens 50 gemeinsame Stunden, um vom „Bekannten“ zum „Freund“ zu werden.
Weitere 90 Stunden sind unumgänglich, um vom „Freund“ zum „guten Freund“ zu wechseln.
Um "beste Freunde" zu werden, sind weitere 200 Stunden Beisammensein vonnöten!
Dabei ist die gemeinsame Zeit entscheidend, real und physisch! So kann sogar eine "Seelenverwandtschaft" entstehen! Halt! Halt! Weit entfernt davon! Nach 50 gemeinsam verbrachten Levantestunden wurden wir keine Freunde, blieben bestenfalls Bekannte! Auch weitere 90 Stunden des Zusammenseins änderten unseren windgestörten Beziehungsstatus nicht! 200 Stunden real und physisch - ich bemühe mich - wo bleibt der Erfolg?
Foto: Inga Treu Fotografìa
Was nun? Hätte mir das mal jemand gesagt - vorher, als wir noch in Costa Rica lebten, gestreichelt von sanften Tropenwinden! Hätte ich ihnen überhaupt geglaubt? Mache gerne meine eigenen Erfahrungen, das gilt für andere Bereiche gleichhin! Habe ich mich nicht genügend informiert? Ausgerechnet ich? Alle, außer mir, kommen wohl mit diesem Naturphänomen zurecht! Beschwerden kenne ich keine unter den Deutschen, die hier leben! Habe schon in Erwägung gezogen, diese Gegend wieder zu verlassen! Geht es auch mit weniger Levante? Doch ich ändere ganz schnell meine Überlegung wenn ich Richtung Málaga fahre, vorbei an touristischen Städten wie Marbella oder Torremolinos, die Küste mit den aneinander gereihten hochragenden Wohnsilos! Eine Bar neben der anderen, stressigen Verkehr, die Sicht unterbrochen von riesigen Reklameschildern, Menschenmassen!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Dann sehne ich mich eiligst wieder zurück nach dem "einfachen" Spanien, der Weite, der Schlichtheit, nach den Wiesen, weiße Steinhäuser inmitten großflächiger Felder!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Darüber der Himmel im satten Blau mit fetten, schneeweißen Wolkenformationen! Sie inspirieren zu kreativen Ideen, nehmen mich mit auf die Reise! Hier sind die Straßen fast nie stark befahren und jeder Ausflug wird zum entspannten Erlebnis! Während der Fahrt lässt sich gemütlich die farbenreiche Pflanzenwelt bestaunen!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Meine massige Fotosammlung zeugt von einsamen, schmalen Straßen durch die grenzenlose Natur, von abgelegenen Ruinen und dem abenteuerlichen Hinkommen, durch stacheliges Gestrüpp und gestapelte Steine! Getrieben vom unermüdlichen Ehrgeiz zum Erhaschen meiner Wunschmotive! Die Erinnerungen legen mir ein zufriedenes Schmunzeln ins Gesicht!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Rinder mit ihren Kälbchen zum Streicheln nahe, oft verirren sie sich auf der Straße, wie auch Ziegen, Schafsherden und Pferde!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Alle direkt vor der Linse, da lacht das Herz des Fotografen! Dieses, in meinem Sinn gemalte Bild versinnbildlicht für mich Andalusien, romantisch, ruhig, naturlieb!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Restaurants unterwegs, mit freiem Blick in die Berge, kulinarisches Essen, ein frisch gezapftes 'Estrella Galicia' oder einen weißen 'Rioja', den wir hier wachsen sehen!
Foto: Inga Treu Fotografìa
Und viel Platz für unsere beiden Helden auf ihrer täglichen Schnüffeltour! Ob im Pinienwald, in den Dünen oder am Strand!
Parque Nacional Cádiz Foto: Inga Treu Fotografìa
Noch mehr interessante Aromen für die feinen Nasen im kilometerlangen Naturschutzgebiet hinter dem Haus! Sie lieben die neu entdeckten Freiheiten! In Costa Rica waren diese stark eingegrenzt durch den Dschungel! Spanien bietet ihnen aufregende Abenteuer, die sie im übervollen Maß wahrnehmen!
Soll ich mich von Südspanien verabschieden? Wegen dem Levante? Will ich zulassen, dass diese Kuriosität mich aus einer Ecke vertreibt, die ich lieben gelernt habe, mehr als 300 Sonnentage im Jahr genießen und mich bester Gesundheit und Kreativität erfreuen darf? Nein! Den Kampf werde ich ihm ansagen! Schließlich hat er auch was Gutes! Er verhindert den Massentourismus und das Emporsprießen von Hochhäusern! Wenn er verschwindet, macht er Platz für den Poniente! Die Römer nannten diesen den 'Günstigen'. Der schwache Westwind lindert die hohen Sommertemperaturen und bringt Feuchtigkeit für die Ernte!
Seelenverwandtschaft strebe ich nicht an! Dafür ticken wir zu verschieden! Doch ein Freund ist besser als ein Feind! Ich werde ihm entgegen gehen, dem Levante, ihm die Hand reichen! Diesen Entschluss zu fassen, brauchte es ein ganzes Jahr! Fragt mich nach einem weiteren Jahr, wie viele Schritte noch fehlen, um ihn meinen Freund nennen zu können! Das Leben findet hier nur gemeinsam statt: Der Levante und ich!
( veröffentlicht im Januar 2021 )